Predigtimpuls zum Sonntag 23./24. Januar von Pfr. Johannes Ehrenbrink, Aurich
Liebe Gottesdienst Feiernde!
„Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe.“ So heißt es heute. Jetzt also ist es so weit, dass das Wort Evangelium“ seine Berechtigung hat. Jetzt geht’s los! Jetzt ist erfüllte Zeit. Davon kann man leben. Und dafür kann man leben. Jetzt geschieht das Entscheidende der Weltgeschichte. So lautet die Botschaft des Evangeliums von heute. Und was geschieht dann? Um das zu sagen, schildert
Markus einen Tag aus dem Leben Jesu. Der Mann aus Nazaret ist erfüllt von seinem Auftrag, aber er
weiß (wie einst Elija), dass er allein in dieser Welt verloren ist. Also sucht er Verstärkung. Das gilt sogar für Gott. Zweimal zwei Brüder sind es für den Anfang.Und was dann zu tun ist, lautet: Kommt mit mir und fischt Leute auf, die schwimmen.Danach wird von einem langen Tag in Kafarnaum berichtet: In der Synagoge wird ein Besessener geheilt, anschließend wird die Schwiegermutter des Petrus gesund gemacht. Schließlich versammelt sich die ganze Stadt vor der Tür des Petrus. Und dann geht Jesus weg, ganz alleine, zum Beten. Um genau das zu tun, hat er sich am Beginn dieses Tages vier Menschen von der Arbeit weggefischt: Du, komm, mir nach! Und du. Und du doch auch! Um ihnen zu sagen: macht es genauso. Fischt euch Menschen, am besten solche, die auch wieder Menschen fischen. O je, können wir denken. Das soll weltbewegend sein?! Das soll die Welt verändern!!? Diese Woche nicht Zeitung gelesen? Noch nicht Tagesschau angeschaut?
Und überhaupt: Den einen und den anderen hat er geheilt, aber die anderen alle? Die eine Schwiegermutter verließ das Fieber. Aber es gibt so viele Schwiegermütter. Nein, die Zeit ist doch nicht erfüllt, sie wird nur unendlich knapp. Atmen wir durch, trotz unserer Kurzatmigkeit, und lassen
eine Überraschung an uns heran: Auch Jesus lebt in einem Zeitgefühl der letzten Minute (und mit ihm tun es seine Zeitgenossen: Paulus und die erste Kirche). Jesu Umgebung sitzt gewissermaßen auf gepackten Koffern. Endzeit. Count-Down. Ultimatum. Bald ist es zu Ende. Dann verblasst die Sonne und vergilbt der Mond, und die Sterne fallen. Und was hat er getan? Einen Kreis von Jüngern gesammelt, die nichts verstehen, die sich so mühsam aufrappeln wie die fiebrige
Schwiegermutter.
Genau das hat er getan, was in Kafarnaum geschieht. Aber eben nicht, weil er seine Zeit verplempert, sondern weil er weiß, was die Uhr geschlagen hat und was jetzt geschehen muss. Und weil er weiß: Was er da tut, das sind die Dinge, die die Zeit erfüllen, die die Hoffnung wecken, die die Liebe wachrütteln, die den Glauben an die Menschen und an Gott stärken. Sie sagen: Das ist zu wenig! Das geht zu langsam. – Aber ist denn etwas anderes wirklich so viel mehr, bringt uns eine andere Methode wirklich viel schneller vorwärts? Ist es beispielsweise so viel sinnvoller, High-Tech-Präzisionswaffen zu entwickeln und zu bauen? Und gleichzeitig und mit gleicher Energie die
Geräte, um sie wieder zu zerstören? Und all das Gerät und Gegengerät möglichst flächendeckend in der Welt zu verteilen und damit möglichst viel Geschäft zu machen, bevor alles in die Luft fliegt? Daran haben dann Millionen hochqualifizierter Menschen gearbeitet, die am Tagesende kaputt heimgekommen sind, ihre Frau angebrüllt oder angeschwiegen haben, weil sie fertig waren. Und die keine Kraft mehr für ihre Kinder und keine Zeit mehr für einen Spaziergang hatten. Und dann haben sie den Fernseher angemacht und gesehen, wie ihre Arbeit in Fetzen fliegt … Und dann haben wir noch gar nicht von den Menschen gesprochen, die da sterben, die zerrieben werden und die für alles nichts können. Ist das erfüllte Zeit?
Jesus legt die Maßstäbe für das, was sinnvoll ist und erfüllte Zeit, ganz anders: Menschen auffischen, die in den Seilen hängen, die nicht mehr können. Gesundheit von innen heraus schaffen, und Befreiung von all dem Fieber, Kauffieber, Tennisfieber, von all den Dämonen und Besessenheiten, von Arbeitswut und Spielsucht, davon, 80-mal am Tag zum Handy zu greifen. Es gilt: Jeder Mensch in Jesu Nähe ist ein Evangelium – so wie jene ersten Galiläer: Wer teilnimmt an dieser Güte, wer behutsame Hände hat, eine behutsame Sprache, wer nicht gleich die Fassung verliert, wer eine glückliche Hand hat, Menschen behandeln kann im wahren Sinne des Wortes, wer auch die
drängelnden Autofahrer an sich vorbeilassen kann links und rechts, wer an der Kasse nicht ausrastet,weil jemand lange braucht, um das Geld aus dem Portemonnaie zu fischen, mit Gelassenheit und Humor: Solche sind ein Glück für die Welt, und so eine(n) kennenzulernen ist eine gute Nachricht. Und alle, die Jesus bekanntmachen und auf ihn hinweisen, sind ein Evangelium. Jede Mutter, jeder Vater, jeder Religionslehrer, jede Religionslehrerin, natürlich auch die „Berufschristen“ – verheiratet oder nicht (oder zuerst nicht verheiratet und dann doch): sie alle, die das Lehramt der Kirche ausüben, sind Evangelium. Jeder von uns kann eine gute Nachricht sein, jeder von uns kann einer dieser Galiläer werden. Heute ist schon Gelegenheit, das eine oder andere zu tun – wenn wir nicht wie gelähmt in diese Welt hineinschauen und uns von den Tagesthemen nicht entmutigen
lassen. Heute steht die Welt noch. Und morgen doch wohl auch noch. Und der erste Blick auf Jesus
ist schon Nachfolge, der erste Schritt ist schon Nachfolge, das erste gute Wort ist schon Nachfolge. Der Brief, das Telefonat, der Besuch, das Abendgebet: all das ist schon Nachfolge. Noch heute können wir – ganz neu – „dabei“ sein und mit IHM unterwegs sein. Heute ist „Kairós“, heute ist
erfüllte Zeit. Auch für uns gilt der jüdische Dreizeiler von Rabbi Hillel, einem Zeitgenossen Jesu:
„Wann, wenn nicht jetzt?
Wo, wenn nicht hier?
Wer, wenn nicht wir?“
Amen!